An dem Ort, an dem wir recht haben
werden niemals Blumen wachsen
im Frühjahr.
Der Ort, an dem wir recht haben,
ist zertrampelt und hart
wie ein Hof.
Zweifel und Liebe aber
lockern die Welt auf
wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.
Jehuda Amichai

Mitgefühl für uns selbst nehmen wir manchmal erst im Überschreiten von körperlichen und seelischen Grenzen wahr. Die körperliche Grenze erleben wir, wenn wir z. B. mit Fieber im Bett liegen und unser gewohnter Alltag nicht mehr möglich ist. Manche erfahren diese Grenze auch, wenn sie sich zu sehr auf jene Ratgeber verlassen, welche „angeblich gesunde“ Ernährung verkünden und welcher Sport zur Fitness beiträgt. Wer seine körperlichen Grenzen wahrnehmen, sich mit seinen Eigenheiten und seiner Begrenztheit versöhnen kann, hat Respekt vor sich selbst und so wächst auch das Verständnis für unser persönliches Mitgefühl.
Zusammenhänge verstehen
Eine der Überforderungen unserer Zeit ist der arrogante Anspruch, zu meinen, für alles sofort eine Lösung zu haben. Hier herrscht eine Sichtweise des Menschen, welche weder das Unvorhersehbare noch seine Einmaligkeit und Einzigartigkeit respektiert. Zur Einmaligkeit gehören sein körperliches und soziologisches Schicksal, also seine biologische Grundausstattung sowie die Familie, der Ort, das Land, in das er hineingeboren wurde. Zur Einzigartigkeit gehört sein seelisches Schicksal, seine charakterlichen Eigenheiten, seine Interessen und vor allem die Begegnungen, die er im Laufe seines Lebens macht.
„Uns wird eingeredet, dass Mitfühlen in den Bereich der Sentimentalität gehört. Das ist eine Lüge. Mitfühlen ist eine ungeheure Kraft – eine große Energie und auch eine schöpferische Phantasie gehört zum Mitfühlen.
Es kommen härtere Zeiten hat vor Jahren Ingeborg Bachmann gesagt und ich habe den Eindruck, dass man uns einreden will: die Zeit der Humanität sei vorbei, die Zeit des Mitleidens sei vorbei. Harte Herzen, wirklich Hartherzige brechen leichter, als mitfühlende Herzen, die eine große Kraft haben.“
Henrich Böll

dass ich viel mehr Vertrauen in den Zweifel habe
als in Überzeugungen.
Weil Zweifel ist eine Sache, die die Menschen vereint.
Wir haben alle Zweifel.
Und Überzeugung ist etwas, das die Menschheit trennt.
Also Zweifel ist wie eine offene Tür
und Zweifel sind viele geschlossene Türen,
die man die ganze Zeit zu öffnen versuchen muss.
Und das ist sehr anstrengend.

Wir haben nach einem Wort gesucht, welches das Gegenteil von Logotherapie ausdrückt.
Wir kamen auf den Begriff Zweck-Gehorsam.
Zweck – das stellt sich erst bei näherer Betrachtung heraus – ist das Gegenteil von Sinn. Gehorsam kennt nur das Befolgen von Pflicht, verneint Freiheit und verhindert somit auch Verantwortung. Nur ein Wesen, das frei ist, kann auch Verantwortung übernehmen.
„Weil Strukturen des Gehorsams offensichtlich, allgegenwärtig und so sehr Teil unseres täglichen Lebens sind, nehmen wir sie als solche jedoch gar nicht mehr wahr.„
Arno Gruen, Wider den Gehorsam