Dieser Beitrag mit Sinn stammt von Barbara Gugl.
„Früher war alles besser“, das ist ein oft genutzter Satz, vor allem wenn die Gegenwart oder die Zukunft nicht gerade rosig aussehen. Momentan geht mir dieser Satz auf die Nerven. Das Ergebnis ist nämlich, dass man betrübt und oft sogar sorgenvoll, am Abend ins Bett geht. Doch kennt man sich und die Welt auch mit der Zeit selbst und weiß, weder gestern noch morgen oder übermorgen wird alles besser oder schlechter werden. Es wird nur anders sein und nicht allein, sondern mit anderen Menschen wird man die guten und schlechten Zeiten mit Leben füllen können.
Wie komme ich auf das Thema? „Schuld“ ist mein Keller. Dorthin brachte ich einen Koffer, der länger schon in der Wohnung herumstand und fand dann ganz überraschend „geballte Kindheitserinnerungen“. Kinderbücher, z. B. von Paul Maar, die ich als Kind geliebt hatte und die heute nicht mehr so, sondern mit anderen Zeichnungen aufgelegt werden. Barbie-Puppen, die ich schon längst als verloren abgeschrieben hatte. Flöten-Noten, mit deren Hilfe ich meinen Nachbarn „malträtierte“ (seine Worte, nicht meine). Und dann mein persönlicher Jackpot: Fotos von meinen Eltern und verstorbenen Großeltern, die ich mit Hilfe meiner Mutter etwas entschlüsseln konnte. Mir kamen die Tränen voll Glück und alte Erinnerungen stiegen in mir auf. Meine Oma und mein Opa so lebendig und teilweise in ihrer Jugend zu erleben - was für ein Glück.
Die guten alten Zeiten, die gibt es nicht. Jedes Bild kann immer nur eine Momentaufnahme zeigen. Was beglückte die abgelichtete Person? Welche Sorgen machte sie sich? Hatten Sie Uniformen an, wie in den Kriegsjahren? War das Foto gestellt, wie in den 50er Jahren oder teilweise verwackelt, wie in meinen Kindertagen? Ach, man könnte schon wieder betrübt sein, wenn man seine Gedanken schweifen lässt. Doch eher fühlt es sich wie ein Schatzkiste an, die eine verborgene Welt zeigt.
Die guten alten Zeiten, die gibt es schon, denn die Erinnerungen, besonders an all die von mir erlebten Momente, die gestalte immer noch ich. Erinnere ich mich an den Liegestuhl, der im Wohnzimmer im Hintergrund stand? Ja, denn ich kann mich an viele glückliche Stunden darin erinnern. Kann ich mich an das Stofftier „mein Schweinchen“ erinnern? Sicher nicht, denn ich war 2 oder 3 Jahre alt und kenne es nur von den Bildern. Aber aus Erzählungen und aufgrund der Bilder würde ich heute behaupten, es war mein Lieblingsstofftier und damit lebenswichtig. Vor allem zeigen die Geschichten, was für eine Person ich damals schon war. Ich war dem Schweinchen treu, bis es aus welchem Grund auch immer verschwand. Wo es heute wohl ist? Vielleicht auch noch im Keller…
Was auch immer wir aus unseren Erinnerungen machen, es bleibt uns überlassen. An was und vor allem wie wir uns an Situationen, Menschen und Gegebenheiten erinnern, ist unsere Sache. Viktor E. Frankl beschreibt das: Es gibt Dinge, die wir – besonders im Nachhinein – nicht ändern können. Dann gilt es unsere Einstellung dazu zu überdenken. Wir sind nicht frei von schlechten Begebenheiten in der Vergangenheit oder in der Gegenwart, aber wir können uns entscheiden, wie wir darüber denken und dazu stehen. Und vor allem, wie wir darüber reden und mit wem wir unsere Erinnerungen teilen.
von seinen schicksalhaften Bedingungen,
aber frei
zu diesen Bedingungen stellung zu nehmen.“
Vielleicht finden sich auch Personen auf den Bildern, die ich damals oder heute, nicht sehr mochte oder nicht mehr mag. Trotzdem werde ich das Bild nicht wegwerfen, sondern ich konzentriere mich auf Details im Bild, die mich heiter stimmen und wenn es nur das kleine Mädchen ist, das ich damals war und auf dem Bild neben der Person sitzt. Es lächelte diese Person nämlich an und deswegen lerne ich im Nachhinein von diesem kleinen Mädchen, dass die andere Person anscheinend nicht immer schlecht war. Oder ich sehe auf einem anderen Bild ein grimmig dreinsehendes Mädchen und erkenne, dass ich damals schon eine gewisse Menschenkenntnis hatte.
So oder so steht dieses Bild für eine vergangene Zeit, für meine Erinnerung. Und genau deswegen gehört es in die Scheune der Vergangenheit, die Frankl als Begriff prägte.
Wir können zwar die Welt nicht ändern, aber immer unsere Einstellung dazu. Deswegen entscheide ich mich heute, die Bilder nach dem Motto „Meine gute alte Nostalgie“ anzusehen. Die Welt war auch damals aus den Fugen, doch in dem Augenblick, wo jemand sich die Zeit und die Kamera in die Hand nahm, und den Moment ablichtete, da war die Welt in Ordnung.
Und ich nehme noch etwas mit: Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, Bilder oder sogar Filme über Momente im eigenen Leben zu machen. Ich nutze diese Gelegenheit für die Zukunft, wo ich diese Momente noch einmal erinnern und damit erleben werde.
nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit;
was er übersieht,
sind die vollen Scheunen der Vergangenheit.
Im Vergangensein ist nämlich nichts
unwiederbringlich verloren,
vielmehr alles unverlierbar geborgen.“