Erzählen bedeutet Zusammenhänge herstellen
Diese Monatsgedanken hat Inge Patsch geschrieben.
Entweder . . . Oder . . . Schwarz . . . oder . . . Weiß . . . Plus. . . oder . . . Minus
Die meisten von uns haben in der Schule gelernt, was richtig und was falsch ist. Für Aufgaben, die mathematisch zu lösen sind, gibt es ein richtiges Ergebnis. Zwei und zwei ist und bleibt vier. Für einen Aufsatz in Deutsch gilt die Grundlage von Richtig und Falsch nur noch für das Grammatikalische, jedoch nicht für den Inhalt. Stellen Sie sich vor, Sie könnten heute jemandem erzählen:
Wofür es sich für mich bisher, zu leben gelohnt hat!
Vermutlich werden Sie sich nicht an jene Dinge erinnern, welche man gewöhnlich mit richtig oder falsch bewertet. Die Hirnforscher informieren uns seit vielen Jahren, dass wir uns besonders an jene Erlebnisse erinnern, die unter die Haut gegangen sind. Dies gilt für das Erfreuliche und für das Schmerzliche, für fröhliche und verzweifelte Stunden.
Vielleicht taucht im Erinnern ein Ereignis auf, über das Sie sich noch immer freuen?
Bis heute freue ich mich über das Erlebnis der „Zauberflöte“ in der Wiener Volksoper im Jahr 1960. Dieses Erlebnis, das ich meinem Großvater verdanke, habe ich oft erzählt und vermutlich geht einigen meine Erzählung bereits auf die Nerven. Für mich ist sie noch immer wertvoll.
Vielleicht besitzen Sie einen Brief oder eine Karte aus der Zeit, in der die digitalen Möglichkeiten noch nicht allen zur Verfügung standen?
Für mich ist es ein Brief meiner Großmutter: „Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich habe warten gelernt und rechne immer mit einem guten Ausgang.“ Wer im Alter von 103 Jahren in klarer Handschrift an die eigene Enkelin so zuversichtlich schreiben kann, muss in sich ein bedingungsloses Vertrauen ins Leben selbst haben, sonst ist dies nicht möglich.
Vielleicht fällt Ihnen eine persönliche Geschichte ein, worüber Sie sich heute noch freuen und Ihnen Zuversicht schenkt?
denen, die uns erzählt wurden und denen,
die wir uns selbst erzählen.
Es ist menschlich verständlich, dass im Erinnern auch die schmerzlichen Erlebnisse auftauchen. Die Freiheit, welchen Geschichten ich mehr Bedeutung gebe, liegt bei mir. Mir geht es nicht um ein Schönreden von schmerzlichen Erfahrungen oder Schicksalsschlägen und schon gar nicht um jene beschwichtigenden Hinweise, die behaupten: Wie gut, dass Dir „das“ passiert ist, sonst hättest Du „dies“ nicht erlebt.“
Im April 2021 hat Stefan Hund mit mir einen Podcast in der Reihe „Stundenull-Talk“ aufgenommen. Durch das Erzählen und Beantworten der Fragen von Stefan Hund konnte ich einige Zusammenhänge klarer erkennen.
Seither sind drei Jahre vergangen und so, wie viele andere habe ich Erfreuliches und Schmerzliches erlebt. Das Schmerzliche erlebte ich meistens dort, wo mein Wunschdenken mit den realistischen Tatsachen kollidiert ist.
„Wissen Sie, wir sind ein technischer Betrieb. Die Heilung beginnt daheim.“ Diese Tatsache hat mir ein Pfleger zugemutet. Er arbeitet in der Klinik und hat mich darauf hingewiesen, dass Selbsterkenntnis wesentlich damit zusammenhängt zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden.
den der Mensch mit der Realität aufweist!
Unfruchtbar dagegen ist alle Auflehnung
gegenüber dem Schicksal und seinen täglichen und stündlichen Forderungen!
Aber wer sagt uns denn,
dass wir absolut vollkommen sein müssen?
Ist denn die arme Erde für Engel geschaffen?
Noch immer schenkt mir die Sinnlehre von Viktor E. Frankl eine verlässliche Orientierung. Vor einigen Tagen habe ich wieder begonnen in seinen „Frühen Schriften“ zulesen. Erneut berühren mich seine Gedanken, die fast hundert Jahre alt sind, sehr und ich staune! Mein Staunen gilt der Aktualität seiner Gedanken.
In einem Aufsatz vom 13. Juli 1924 schreibt er über Erfahrungen von Schülerinnen und Schüler. Aufgrund häufiger Suizide gründete Viktor Frankl Schülerberatungsstellen in Wien.
Die heutige Mittelschule ist keineswegs dazu angetan, aus ihren Besuchern Menschen zu machen,
die ihr Wissen im Leben anwenden, unmittelbar oder mittelbar, technisch oder in ihrer Weltanschauung.
Die heutige Mittelschule macht aus dem jungen Menschen einen durchaus weltfremden Studenten, mit Augengläsern, blassen Wangen, dunklem Blick und gebeugtem Rücken.
Ganz verständnislos steht er dem großen gesellschaftlichen Produktionsprozess als der Grundlage der Kultur gegenüber: er weiß nicht, woher alle diese Dinge kommen, die er tagtäglich sieht und selbst benützt – es sei denn, er hat es zufällig in Chemie oder einem anderen Schulgegenstand gelernt.
Mancher rettet sich. Wenn er besonders fähig ist, lernt er wenig für die Schule und liest, was ihn interessiert und in der Schule nicht gelehrt wird: dann kann es vorkommen, dass er seinen dunklen Blick verliert und einen aufrechten Gang bekommt, dass er bewusst und frei in die Welt schaut.
Und nachdem er viel gelernt, nachdem er eine große „Reform des Bewusstseins“ durchgemacht, innerlich erlebt haben wird, dann wird er vielleicht einmal soweit sein, zu lehren, wird hingehen und armen jungen Leuten helfen, mit ihnen gehen, mithelfen an ihrem großen Werke der Befreiung.
Viktor E. Frankl
viel größeren Zusammenhang hineingestellt sehen,
aus dem sich der unschätzbare Wert
jedes einzelnen Menschen neu ergibt.