Das Unbehagen verstehen
Im September haben ungeheure Regenfälle einige Gebiete in Österreich, in Polen und in Tschechien in Flusslandschaften verwandelt. Das Tragische, welches Menschen aufgrund des Hochwassers ertragen und nun bewältigen müssen, ist kaum vorstellbar. Wir erleben besonders in Krisenzeiten die Brüchigkeit und die Grenzen menschlicher Machbarkeit. Ja, die meisten machen diese Bilder betroffen und das meiste, was betroffen macht, macht Angst. Einige, welche sich dieses ängstliche Unbehagen nicht zumuten, reden bereits wieder davon, was man tun hätte können, um diese Katastrophe zu vermeiden. Naturkatastrophen sind nicht vermeidbar und menschliches Leid lässt sich nicht auf Dauer verbannen.
Doch wir können nachdenken und versuchen das Unbehagen zu ergründen und gemeinsam zu einem Verständnis finden.
wenn ich nun die Behauptung wage,
die Energiekrise und das mit ihr einhergehende verminderte Wirtschaftswachstum sei, was unseren frustrierten Willen zum Sinn anlangt, eine einzige große Chance.
Wir haben die Chance, uns selbst zu besinnen.
Zur Zeit der Überflussgesellschaft hatten
die meisten Leute genug, wovon sie leben konnten.
Aber viele Menschen wussten von nichts,
wofür sie hätten leben können.“
Das WOVON WIR LEBEN ist brüchig geworden ist. Nicht nur die massiven Klimaveränderungen sind Alarmzeichen. Jene, die sich im vergangenen Sommer den Urlaub nicht mehr leisten konnten, werden mehr. Die Anzahl der Menschen, welche Hilfe durch die Tafel Österreich erhalten, steigt ständig an, doch die Gesamtmenge an geretteten und verteilten Lebensmitteln kann mit der deutlich gestiegenen Nachfrage kaum mithalten. Geschäfte in den Städten sperren zu oder sie verkleinern ihr Sortiment.
Das positive und beschwerdefreie Leben wurde in den letzten Jahrzehnten rigoros überbewertet. Nun sind die Spielräume für das sorgenfreie Leben für einige kleiner geworden. Nicht die Zeit hat sich verändert, sondern die Gesellschaft, in der wir leben. Eine Zeile aus einem Gedicht von Erich Kästner über die Zeit beschreibt es treffend:
„Ich bin die Zeit, die schleicht und eilt, die Wunden schlägt und Wunden heilt.“
Wie gehen wir mit den Wunden des Unbehagens und der Unsicherheit um?
Unsicherheit ist eine Zumutung, die sich nicht so schnell vertreiben lässst. Zumutung hat meistens mit Dingen zu tun, die wir nicht ändern können.
Uns bleibt die Chance innezuhalten, nachzudenken und gemeinsam Wege zu finden, die wir bisher noch nicht kennen.
Er ist so selbstverständlich unser Lebensstil
er sagt: wir sind zu schnell es ist zu viel
was in der Fülle auf uns lauert.
Wo finden wir, was wärmt und dauert?
Im Teufelskreis der Ausweglosigkeit gelandet, legen sich manche eine Wahrheit zurecht und suchen dann passende Argumente. Bevorzugte Strategie ist jene des Sündenbocks. Sobald dieser gefunden ist, ist man befreit über sich selbst nachzudenken. Dies ist meistens ein hilfloser Versuch, sich den Herausforderungen der Welt zu verweigern und die Realität nicht wahrzunehmen. Das wäre noch kein Problem, wenn es einen Raum geben würde, in dem von beiden Seiten, Offenheit zum Gespräch möglich wäre. Der Versuch, ein Gespräch zu führen, scheitert nicht an der eigenen Toleranz. Man verscherzt es sich sehr schnell, wenn man etwas sagt, was der Überzeugung anderer nicht entspricht. Individuelle Perspektiven sind wichtig, doch viel zu oft basiert der Individualismus auf einem Halbwissen.
„Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die Vorstufe der Bildung,
sondern ihr Todfeind.“
Theodor Adorno
Auch in der Logotherapie ist es sinnvoll, sich nicht mit dem Halberfahrenen und Halbverstandenen zu begnügen. Verwendet man das „Trotzdem“ als theoretische Oberflächlichkeit versagt es in der Gefahr. Ein humanes Menschenbild weiß um die Begrenztheit unseres Menschseins und kann deshalb der Gefahr und dem Tod gegenübertreten.
Bei Viktor Frankl gibt es keine Orthodoxie – keine bedingungslose Dogmatik – keine formelhafte Sprache, sondern Schönheit und Weite. In dieser Weite mutet uns dieser Arzt und Philosoph die „Fürchterlichkeit des Lebens“ zu, wie Rilke dies nennt, und den Frankl auch in seinem „tragischen Optimismus“ zitiert.
Von Werten und Sinn inspiriert zu werden ist eine Seite, welche diese menschliche Lehre in uns bewirken kann. Die Logotherapie auch umzusetzen, „wenn’s dir in Kopf und Herzen schwirrt“, ist die schwierige und manchmal schwere Herausforderung, die es nicht für das Kleingeld der einfachen Rezepte gibt. Dazu muss man eintauchen in die Gedankenwelt von Viktor Frankl und man tut gut daran, nicht zu vergessen, dass niemand von uns eine Ahnung hat, welche Fürchterlichkeit des Lebens dieser Mann ertragen hat, ohne zu verbittern.
was willst du Besseres haben!
Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt,
der lasse sich begraben!“
Viktor Frankl schrieb nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: „Wir brauchen keine neuen Programme, sondern eine neue Menschlichkeit.“ Dieser Gedanke eignet sich ebenso wenig – wie vieles andere von Viktor Frankl – zu einem billigen Ratgeber mit Versprechensgarantie auf ein gelungenes und erfülltes Leben.
Viele Menschen haben diverse Parolen befolgt und einiges ist auch gelungen. Doch der Fluch des jahrzehntelangen Befolgens von zielfixierten Programmen haben aus zu vielen funktionierende Zweibeiner gemacht. Viele von ihnen erleben jetzt die späte Rache der Wirkungslosigkeit diverser Coaches im Bereich der Psychologie.
Das Entdecken von Möglichkeiten hängt nicht nur von der Einmaligkeit jedes Menschen ab, sondern auch von der Einzigartigkeit der Situation. Zur Einmaligkeit gehören nicht nur die Familie und der Kulturkreis, in den man hineingeboren oder geworfen wurde, wie Martin Heidegger dies nennt, sondern wesentlich die Fähigkeit Lebenserfahrungen als solche zu erkennen. Schwierig wird es dort, wo ein Mensch in seinen Erwartungen und seinen Zielvorstellungen stecken bleibt. Der Blick auf die Realität bewahrt manchmal vor größeren Enttäuschungen.
Erst durch andere Menschen wird Mensch zum Menschen
Desmond Tutu
Viele Menschen haben diverse Parolen befolgt und einiges ist auch gelungen. Doch der Fluch des jahrzehntelangen Befolgens von zielfixierten Programmen haben aus zu vielen funktionierende Zweibeiner gemacht. Viele von ihnen erleben jetzt die späte Rache der Wirkungslosigkeit diverser Coaches im Bereich der Psychologie.